Ellen White an L. R. Conradi


Zum 80. Todestag von Ludwig Richard Conradi (1856-1939)

Im Januar 1886 kam Ludwig Richard Conradi nach Europa. Der gebürtige Karlsruher hatte während seiner Lehre als Böttcher mit 16 Jahren Deutschland verlassen und in der „Neuen Welt“ sein Glück versucht. Dort fand er bei einer adventistischen Farmerfamilie zum Glauben und nahm die Sabbatwahrheit an. 1878 ließ er sich mit 22 Jahren taufen, studierte Theologie am Battle Creek College, absolvierte das 4-jährige Studium in 18 Monaten und arbeitete erfolgreich unter deutschen Einwanderern in Nordamerika. 1886, kurz vor seinem 30. Geburtstag, begann für Conradi eine neue gewaltige Aufgabe: Er übernahm die Leitung der Missionsarbeit in Europa. Bevor Conradi mit seiner Familie nach Europa aufbrach, nahm er noch die amerikanische Staatsbürgerschaft an, was ihm später von großem Nutzen sein sollte.

Seit 1885 hielt sich auch Ellen White in Europa auf. Conradi begleitete sie ab und zu auf ihren Reisen und diente ihr als Übersetzer. Im Juni 1886 reiste Conradi nach Rußland, wo er sich mit G. Perk traf. Beide arbeiteten auf der Krim und gründeten dort die erste Adventgemeinde in Russland. Nach einer öffentlichen Taufe im Schwarzen Meer wurden jedoch Conradi und Perk von den russischen Behörden inhaftiert. Mit der intoleranten Haltung der russisch-orthodoxen Kirche anderen Religionsgemeinschaften gegenüber hatte Conradi nicht gerechnet. Die Anklage lautete „Verbreitung jüdischer Irrlehren“. Eine Anhörung vor einem Gericht fand nicht statt. Es schien nur noch eine Frage von Tagen zu sein, bis auch sie in ein Arbeitslager nach Sibirien gebracht werden.

Conradi durfte Briefe schreiben, doch die meisten wurden nicht durchgestellt. Inzwischen hatten Gemeindeglieder von der Krim nach Basel telegraphiert. Ellen White schrieb am 11. Aug. 1886 als „Mutter“ an ihre „Kinder“:

Wir haben ein Telegramm aus Russland erhalten, dass unser lieber Br. Conradi im Gefängnis ist. Wir wissen noch keine genauen Details. Br. Whitney ist zur amerikanischen Botschaft gegangen, um herauszufinden, was getan werden kann. Dieser amerikanische Botschafter kommt von Maine, Gorham, meinem Heimatort. Er ist sehr gesellig und zuvorkommend. Ich hoffe, ihr könnt dieses Anliegen der Gemeinde weitergeben, damit alle, die glauben, den Herrn für Br. Conradi bitten können, er möge für ihn etwas tun und die Macht Satans zerbrechen. …

Lt 122, 1886

Ellen White schrieb auch einen Brief an Conradi, datiert auf den 30. August 1886 (wäre James White noch am Leben, wäre dies ihr 40. Hochzeitstag gewesen). Auch wenn der hier veröffentlichte Brief von Ellen White an Conradi wahrscheinlich nicht bei ihm ankam, hatte Gott doch die Gebete erhört. Lies unten, wie die Geschichte weiterging…


Aus: Basel, Schweiz | Quelle: Letter 49, 30.08.1886 | Original: https://egwwritings.org/?ref=en_Lt49-1886

Elder L. R. Conradi

Lieber Bruder in Christus Jesus:

Wir wurden sehr betrübt, als wir hörten, dass du ins Gefängnis geworfen wurdest. Als du uns verlassen hast, haben wir nichts der Gleichen erwartet und auch jetzt können wir es nur schwer begreifen. Wir haben dich nicht vergessen, sondern haben deinen Fall dem höchsten Gericht übergeben – dem höchsten Weltenherrscher. Der Herr, dem wir dienen, wird dich befreien – zu seiner Zeit.

Es tut uns [so] leid, dass deine Frau [jetzt] viele Sorgen und Ängste [um dich] ausstehen muss, aber der Herr wird dich nicht verlassen. Jesus, der kostbare Retter, wird dir Frieden und den Trost seines Heiligen Geistes geben. Jesus hat seinen Jüngern seinen Auftrag gegeben und ihnen geboten, in alle Welt zu gehen und das Evangelium allen Nationen, Sprachen und Völkern zu verkündigen. Aus seinen göttlichen Lippen kamen diese Worte: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt[zeit].« [Mt 28,20]

Obwohl wir nicht sehen [erkennen] und verstehen können, warum das Gute unterbrochen wurde, das du deinen Mitmenschen in Russland tun wolltest, ist es doch eines von diesen Dingen, die denen zum Besten dienen, die Gott lieben [Röm 8,28]. Mein lieber Bruder, wo auch immer du bist, kannst du dir Menschen zu Freunden machen. Wir können heute einige Schwierigkeiten klarer erkennen, die im Wege derer lagen, die Gott gehorchen wollen. Menschen sind begrenzt, aber Gott ist unbegrenzt. Der Himmel hat alles unter Kontrolle.

Wir mögen jetzt noch nicht in der Lage sein, diese Tatsache mit den Umständen in Einklang zu bringen, aber Gott arbeitet auf geheimnisvolle Weise, um seine Wunder auszuführen. Ohne Zweifel arbeitet Gott bereits [daran], denen Licht zu bringen, die sonst niemals Kenntnis davon erhalten hätten. Er arbeitet daran, seinem Volk überall auf unserer Erde Segen auszustreuen. Denke nicht einen Moment, dass Gottes Hand gegen dich sei. Sei guten Mutes und vergiss nicht, dass der Herr der oberste Herrscher ist. Gott lässt Sünde zu, damit sie sich in Verbrechen und Grausamkeiten entfaltet, aber Er wird diejenigen, die ihn Lieben, nicht der Verwirrung preisgeben.

Denke an die Liebe Gottes, die er den Menschen offenbart. Betrachte, was Jesus, der Prinz des Lebens, in dieser Welt erlitten hat, der Gerechte für die Ungerechten, damit er Menschen vom Tod errette. Gott regiert die Welt. Er ist allmächtig. Sei dir sicher, dass Seine Macht das ausführen wird, was sich Seine Weisheit wünscht oder Seine Liebe inspiriert. »O HERR, Gott der Heerscharen, wer ist mächtig wie du, HERR? Und deine Treue ist um dich her! Du beherrschst das ungestüme Meer; wenn sich seine Wogen erheben, so stillst du sie. … Recht und Gerechtigkeit sind die Grundfeste deines Thrones, Gnade und Wahrheit gehen vor deinem Angesicht her.« [Ps 89,9.10.15]

Gott regiert, und trotz seiner Majestät liebt er vor allem diejenigen unter seinen Kindern, die hilfsbedürftig sind und am meisten leiden. Gott zeig uns Beweise seiner Macht und die Wahrheit wird siegen. Gott wird jeden Fehler in den Lehrpunkten ausrotten. Jede Wahrheit wird unsterblich sein. Übergib die Bewahrung deiner Seele [deines Lebens] an Gott als einem vertrauenswürdigen Schöpfer. Die Engel Gottes sind um dich herum. Habe Vertrauen in Gott. Denke an Jesus, deinen Erlöser, und sieh, was er erduldet hat. Als die Apostel Jesu ins Gefängnis geworfen wurden, kamen Gottes Engel in die Zelle und dienten ihnen. Oh welche Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Er sagt: »Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarmt über ihren leiblichen Sohn? Selbst wenn sie ihn vergessen sollte – ich will dich nicht vergessen!« [Jes 49,15]

Daniel wurde in die Löwengrube geworfen und die drei Freunde in den Feuerofen, aber Jesus war bei ihnen und die Flammen konnten ihnen keinen Schaden tun. Oh, vertraue Gott. Du bist keines Verbrechens schuldig, nur dass du versucht hast, Menschen freundlich, gehorsam, ehrlich und zuverlässig zu machen und in diesem Bewusstsein kannst du heilige Hände ohne zu zweifeln emporheben. Überall dort, wo Gott ein gehorsames Kind hat, gibt es ein Element, das für Gott und für die Wahrheit Macht ausübt. Nur weil Menschen falsch bewertet, verurteilt und ins einsame Gefängnis gesteckt werden, ist das noch kein Beweis dafür, dass Gott nicht regiert. Er sagt, dass diejenigen, die an ihn glauben, Verfolgung erleiden werden [2Tim 3,12]. Je Größer der Widerstand gegen Recht und Gerechtigkeit, je mehr wird der Herr sein herrliches Licht scheinen lassen.

Vertraue ganz einfach Jesus und denke daran, dass du um seines [Namens] Willen leidest. Er wird dich nicht verlassen noch von dir weichen. Vertraue Gott. Unsere Gebete für dich steigen täglich zu Gott hinauf. Wir kümmern uns besonders um deine Frau und euern Sohn. Die dich ins Gefängnis gebracht haben, haben etwas Ungerechtes getan. Wenn sie dich gekannt und kennengelernt hätten, dann hätten sie dich, statt dich im Gefängnis einzusperren, zweimal quer durch das Land geschickt, mit dem Auftrag, allen Menschen, Völkern und Sprachen zu verkündigen, dass es einen lebendigen Gott und einen Erlösung für die Sünder gibt.

Wahrheit kann durch Gewalt nicht vorwärtsschreiten. Die Waffen unseres Kampfes sind mächtig, weil sie nicht fleischlich sind. Möge der Herr dir Gnade geben, sanftmütig alles zu ertragen, was dir die Menschen antun.

Paulus sagt: »Wer will uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir geachtet!“ Aber in dem allem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.« [Rom 8,35-39]

Du weißt ja, dass Jesus sein kostbares Blut für dich vergossen hat. Du hast einen Hirten, der voller Güte, voller Fürsorge, voller Barmherzigkeit und Zuneigung ist; dann glaube daran, dass du ihm jeden Augenblick vertrauen kannst.

Jesus interessiert sich besonders für das Leid der Menschen. Was dir angetan wurde, um dir Leid zuzufügen, wurde Christus in der Person seiner Heiligen angetan. Wir glauben, dass Gott um deinetwillen arbeitet. Klammere dich fest mit unerschütterlichem Glauben an die Verheißung. Möge Gott euch beide segnen, die ihr um der Wahrheit willen eingekerkert seid. Denkt daran, dass wir für eure Freilassung beten.

Ellen G. White

Der amerikanische Botschafter in der Schweiz kontaktierte seinen Kollegen G. N. Lathrop in Petersburg. Dieser wusste, wer die Siebenten-Tags-Adventisten sind, denn er hatte das Sanatorium in Battle Creek besucht. Lathrop konnte die russischen Behörden überzeugen, Conradi freizulassen. Die Zeitschrift The Review and Herald zitiert aus dem Louisville Courier vom 19. Okt 1886: „Wäre der Angeklagte kein Amerikaner gewesen, ganz Europa hätte ihn nicht retten können.“ (RH 63/43 02.11.1886, S.682). Nach 40 langen Tagen hatte die schreckliche Zeit für Conradi und Perk endlich ein Ende. Conradi berichtet:

Es stimmt, dass ich einen harten Kampf hatte. Niemals werde ich die vierzig Tage und Nächte vergessen, die Br. Perk und ich in Perekop verbracht haben, in Ungewissheit und seelischer Qual, fern der Heimat und der Freunde, ein Fremder gegenüber der Sprache und den Gebräuchen des Landes. Aber zur Ehre Gottes können wir auch über gute Siege berichten und der ausgestreute Same wächst schnell.

RH 63/40 12.10.1886, S. 627

Im General Conference Daily Bulletin (vol 4) vom 4. Mrz 1891 wird berichtet:

1886 besuchte Br. Conradi zum ersten mal Russland. Auf der Krim wurde er ins Gefängnis gesteckt. Während er dort war, verkündigte ein lutherischer Priester vom Podium “Jetzt sitzen die Häretiker im Gefängnis”. Das war das erste Mal, dass einige etwas von unserer Glaubensgemeinschaft hörten. Das weckte Neugierde. Ein Mann wollte mehr wissen – und ist nun Gemeindeleiter [Elder] einer unserer Gemeinden auf der Krim.

GCDB March 11, 1891, p. 72,1
Mehr zu dieser Geschichte bei Daniel Heinz, Ludwig Richard Conradi: Missionar der Siebenten Tags Adventisten in Europa, Frankfurt am Main et al: Peter Lang, 1986, S.44-47

2 Kommentare

  1. Marianne Kerzendorfer

    Ja, danke für diesen Artikel. Solche kostbaren Perlen dürfen nicht verloren gehen. Danke, dass Ihr Euch darum kümmert.

  2. Hallo, ich bin sehr froh das lesen zu dürfen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert