Autor und Verfasser unbekannt
Abgedruckt in der Zeitschrift Zions-Wächter, Juni 1913 (S.295-296)
Die Gebote Gottes, der Glaube und das Zeugnis Jesu sind die Kennzeichen der letzten Gemeinde, die beim Kommen des Herrn ihm entgegengerückt werden wird. Welches die Gebote Gottes sind, worin der Glaube Jesu besteht, bedarf wohl kaum der Erläuterung und was das Zeugnis Jesu ist, finden wir in Offb. 19, 10 verzeichnet: „Das Zeugnis Jesu aber ist der Geist der Weissagung.“ Wird schon der Forderung, die Gebote Gottes zu halten, selbst von Seiten der sogenannten Gläubigen ein ganz entschiedener Widerstand entgegengesetzt, wieviel mehr der Behauptung, daß der Geist der Weissagung unter uns zu finden sei. Man glaubt wohl „allem, was geschrieben ist im Gesetze Moses und den Propheten“, glaubt wohl an das Neue Testament, lässt auch die Offenbarung in demselben gelten, dem Geist der Weissagung aber glaubt man mit allen Zweifeln entgegentreten zu dürfen.
Der Hauptgrund dieser Erscheinung liegt wohl darin, daß der Geist der Weissagung als etwas Neues betrachtet wird, als etwas Hinzugekommenes, das nicht zu den Grundlagen des evangelischen Glaubens gehöre, während man der Bibel schon von vornherein aus dem Althergebrachten unbedingtes Vertrauen schenkt. Diejenigen, welche so handeln, vergessen aber, daß die Schriften des Neuen Testaments auch einmal etwas Neues waren und manches Neue brachten, dessen Wahrheitsgehalt heute ebensowenig wie damals mit den Schriften des Alten Testaments bewiesen werden konnte.
Ich möchte dies an einem Beispiel aus den paulinischen Briefen erläutern. Wenn der Apostel Paulus in seinem zweiten Briefe an die Thessalonicher schreibt, daß vor der Zukunft unseres Herrn Jesu Christi unbedingt erst der Abfall kommen und der Mensch der Sünde geoffenbart werden müsse und daß dieser Widersacher sich über alles, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heiße, erheben, und schließlich durch die Erscheinung der Zukunft Christi umgebracht würde, so weiß jeder Kenner des Alten Testaments, daß Paulus hier dasselbe sagt, was in Dan. 7 geschrieben steht. Nicht so in 1. Kor. 15, 51. 52. Wir finden wohl im Alten Testament die Lehre von der Auferstehung verkündigt, nicht aber die von der Verwandlung. Daher bezeichnet Paulus diese Lehre auch als ein Geheimnis. Auf welche Weise und woher er Kenntnis von demselben erhalten hatte, zeigt er in 1. Thess. 4,15-17. Es war das Wort des Herrn, das ihm durch Offenbarung kund geworden war. Eph. 3,3.
Unter den Christen jener Zeit gab es Leute, die in den Schriften des Alten Testaments wohl unterrichtet waren, den Lehren Pauli aber nur insoweit Glauben schenkten, als diese im Alten Testament schon Ausdruck gefunden hatten. Sobald ihnen etwas verkündigt wurde, was aus ihren bisherigen Anschauungen nicht herzuleiten war oder sie auf alte vernachlässigte resp. in ihrem ganzen Umfange nicht verstandene Wahrheiten des Alten Testaments aufmerksam machte, brachten sie diesen „neuen“ Lehren Unglauben und sogar offenen Widerstand entgegen, anstatt sich des neuen Lichts zu freuen.
Einer ähnlichen Gesinnung begegnet man auch heute. Die Forderung, die Gemeinde Gottes zu halten, die sich auf die Bibel gründet, ist man bereit, anzuerkennen, aber den Anweisungen des Geistes der Weissagung Folge zu leisten, auf seine Worte zu achten, weigert man sich.
Hätten solche Leute zur Zeit Pauli gelebt, sie würden ebensowenig seinen Lehren, die ihm der Herr durch Offenbarung gegeben hatte, geglaubt haben, während sie dieselben heute für unzweifelhafte Wahrheiten halten. Sie würden aber, weil sie nicht die gegenwärtige Wahrheit für jene Zeit angenommen hätten, verlorengegangen sein und sie stehen heute in derselben Gefahr, wenn sie dem Geist der Weissagung Mißachtung entgegenbringen. Daher gilt auch für uns das Wort in 2. Chron. 20, 20: „Glaubt an den Herrn, euren Gott, so werdet ihr sicher sein; und glaubt seinen Propheten, so werdet ihr Glück haben.“