Hat Ellen White abgeschrieben?

Angeblich soll Ellen White bis zu 90 Prozent abgeschrieben haben – und behauptet, dass Gott ihr die Informationen in einer Vision gegeben hat. Kritiker verweisen dabei vor allem auf die Gesundheitsreform, die sie von zeitgenössischen Reformern gestohlen haben soll. Kurz: War Ellen White inspiriert oder hat sie nur kopiert?

Diebstahl und vorsätzlicher Betrug – das spricht nicht gerade für eine ehrliche und aufrichtige Christin oder gar für eine echte Prophetin. Die Kritiker sprechen Ellen White – gemessen an den 10 Geboten – in mehreren Punkten für schuldig.

Eigentlich geht es hier um die Frage der Inspiration: Ist das, was Ellen White geschrieben hat, inspiriert oder hat sie es nur kopiert? Darf ein Prophet auch vorhandenes Material verwenden und zitieren oder muss alles, was geschrieben wird, 100% aus eigener Feder stammen? Hat Gott dem Propheten die Botschaft diktiert (Verbalinspiration)? Was uns die Bibel über Offenbarung und Inspiration sagt, kann hier nachgelesen werden.

Es stimmt, dass Ellen White Aussagen anderen Autoren übernommen hat. Sie macht daraus jedoch kein Geheimnis (siehe Einleitung zum Buches Vom Schatten zum Licht). Wie viel sie übernommen hat, untersuchte das White Estate und veröffentlichte das Ergebnis im April 2000 (Tabelle). Nun liegt es bei den Anklägern, mehr Beweise (die angeblichen 90%) vorlegen – und das White Estate nimmt diese gerne entgegen.

Ellen White hat die genauen Quellen nicht angegeben – so wie wir das heute nach dem aktuellen Copyrightgesetz machen müssen. Im 19. Jh. sah die Gesetzeslage anders aus, deshalb ist bei dieser Kritik der historische Kontext zu beachten und ein Urteil nach heutiger Gesetzeslage unzulässig.

Um diesen Fall zu klären, beauftrage 1981 die Generalkonferenz Anwalt Vincent L. Ramik, einen Spezialisten in Copyright-Fragen. Ramik, ein Katholik, kam nach Studium von ca. 1.000 relevanten Fällen und über 300 Zeitstunden zu dem Ergebnis:

Basierend auf unserer Überprüfung der Fakten und Präzedenzfälle … war Ellen White kein Plagiator und ihre Werke stellen keine Urheberrechtsverletzung/Piraterie dar. (Dr. Roger Coon, „Was Ellen G. White a Plagiarist?”, Adventist Review, 17. Sep. 1981. Mehr dazu findet sich in diesem Artikel.)

Robertson erwähnt in seinem Buch ein ähnliches Interview mit einem Richter (Robertson, 32-36). Er zeigt anschließend auf, dass sogar die Bücher, aus denen Ellen White ohne Quellenangabe zitierte, unter den Adventisten recht bekannt und weit verbreitet waren – sie wurden sogar in den adventistischen Zeitschriften beworben. Warum sollte Ellen White vorsätzlich jedes ihrer schriftlichen Worte als eigenes Gedankengut herausgeben, wenn ihre Leser Zugang zu den Quellen hatten? Das macht keinen Sinn! Wenn es bei diesem Argument nur um fehlende Quellenangaben geht, dann müssen die Kritiker auch die Schreiber der Bibel des Plagiats beschuldigen.1 Im 18. und 19. Jh. haben auch Komponisten voneinander abgeschrieben und nicht immer die Quellen angegeben. Wie aufrichtig und fair ist es, die damalige Vorgehensweise der Menschen nach unserer heutigen Gesetzeslage zu beurteilen?2 Wenn andere Menschen einen Gedanken sehr gut formuliert haben, nahm Ellen White ihn in ihren Schriften auf. Für sie ist und bleibt der Urheber aller Wahrheit und Weisheit Jesus Christus.

Auch wenn es zum Thema Gesundheitsreform Parallelen zwischen Ellen White und den Reformern des 19. Jh. gibt, findet man bei diesen Reformern auch Ansichten, über die wir heute schmunzeln würden, z.B. dass Männer ihren Bart wachsen lassen sollen, sonst werden sie zeugungsunfähig oder dass viele Krankheiten durch den Geschlechtsverkehr entstehen (siehe u.a. John Harvey Kellogg. Er hat nach eigenen Angaben seine Ehe sexuell nie vollzogen).3

Falls Ellen White nur abgeschrieben hat, woher wusste sie dann so genau, was sie abschreiben soll und was nicht, was Wahrheit und was Lüge ist? Dass sie damals beim Thema Gesundheit ihrer Zeit weit voraus war, haben verschiedene Wissenschaftler mit Erstaunen festgestellt.4 Letztendlich ist Gott die Quelle aller Wahrheit und Weisheit!

Fußnoten und Anmerkungen:

Antworten (Englisch):
https://www.andrews.edu/~fortind/EGWPlagiarism-Encyclopedia.htm
https://www.ellen-white.com/Plagiarism.html
https://www.whiteestate.org/issues/parallel.html
https://www.whiteestate.org/issues/whitelie.html
https://www.whiteestate.org/issues/ramik.html
https://www.ellenwhiteanswers.org/answers/plagiarism/
https://www.whiteestate.org/books/egwhc/EGWHCc28.html#c28
https://www.andrews.edu/~fortind/EGWPlagiarism-Coon-98.htm
https://www.whiteestate.org/issues/faq-egw.html
https://whiteestate.org/issues/prophetess-of-health.pdf

1 Jesaja erzählt Geschichten, die auch in den Könige- und Chronikbüchern vorkommen (vgl. Jes 36-39; 2Chr 32; 2Kö 19; 20). Lukas beginnt seinen Brief an Theophilus damit, dass es bereits Berichte über das Leben Jesu gibt. Diese sind ihm also bekannt und er hat sie sehr wahrscheinlich für seinen Brief verwendet – und er hat selber noch nachgeforscht, Augenzeugen befragt, vorhandene Berichte mit Details ergänzt – und keine Quellen angegeben.

2 Heute wollen Theologen zeigen, dass z.B. Geschichten in der Bibel leicht veränderte Nacherzählungen von Geschichten aus ägyptischer oder griechischer Mythologie sind. Apologeten antworten darauf mit der Frage nach den Originalquellen. Wie zuverlässig wurden die Sagen und Mythen der Ägypter und Griechen überliefert? Vielleicht wurden die beim Abschreiben selbst mit christlichem Gedankengut verändert?

3 siehe dazu die Bücher von Leonard Brand und Don S. McMahon.

4 siehe die Zitate hier.

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