Normalerweise ist eine Enttäuschung alles andere als herrlich, aber ich habe schon erlebt und bei anderen gesehen, dass Gott aus Enttäuschungen etwas Herrliches machen kann. Die Geschichte von William Miller ist so ein Beispiel.
William Miller (1782-1849) wuchs als Ältestes von 16 Kindern auf einer Farm in Low Hampton, New York, auf. Sehr ehrgeizig und wissbegierig las er bis spät in die Nacht im Licht des Kaminfeuers. Als Miller mit 21 Jahren Lucy Smith heiratete, zog er in die Nähe von Poultney, Vermont, wo seine Frau aufgewachsen war. Er verbrachte viel Zeit in der Bibliothek und traf sich mit den Intellektuellen der Stadt, debattierte über Gott und die Welt. Dabei übernahm er die Meinung, dass ein Gott zwar alles erschaffen, sich dann jedoch zurückgezogen habe. Gott würde seine Naturgesetze selbst nicht übertreten und daher wären Gebete unnötig und Wunder ausgeschlossen (diese Sichtweise wird „Deismus“ genannt). Miller machte sich über die Bibel und das Christentum lächerlich. So imitierte er zum Spaß seiner Freunde seinen Großvater Phelps und Onkel Elihu, beides Prediger bei den Baptisten. Zu dieser Zeit hätte niemand gedacht, dass Miller eines Tages eine große christliche Erweckungsbewegung in Nordamerika ins Leben rufen würde.
Obwohl Miller dem Christentum skeptisch gegenüberstand, hatte er auch gute Seiten. Die Einwohner von Poultney wählten ihn wiederholt zum Bezirkssheriff und Friedensrichter. Diese Ämter übte er neben seiner Arbeit als Farmer aus. Miller war zuverlässig und wurde sehr geschätzt. Mit 28 Jahren erhielt er die Beförderung zum „Lieutenant“ und kämpfte ab 1812 im Krieg gegen England. 47 Männer meldeten sich freiwillig, die unter seinem Kommando dienen wollten, weil sie seiner Führung vertrauten.
Die Entscheidungsschlacht in Plattsburgh am 11. September 1814 veränderte Millers Leben. Die Amerikaner stellten dreimal weniger Truppen als die Engländer – und hatten doch gewonnen! Als eine Granate in Millers Nähe explodierte und er unverletzt blieb, brachte dies sein Weltbild ins Wanken. Vielleicht geschahen ja doch noch Wunder?
Nach dem Krieg zog Miller zurück nach Low Hampton, New York. Sein Vater war verstorben und als Ältester erbte er das Elternhaus. Er hatte genug Geld, um die Schulden abzuzahlen, sodass seine Mutter dort wohnen konnte. Das Nachbargrundstück mit 81 Hektar kaufte er, baute sich eine Farm und errichtete auf seinem Grund eine kleine Kirche. Dort fanden sonntags Gottesdienste statt, die Miller mit seiner Frau und seinen fünf Kindern besuchte. Miller war nun 32 Jahre alt und machte sich ernsthaft Gedanken über den Sinn des Lebens.
Wenn Onkel Elihu, der zuständige Prediger, an anderen Orten eingesetzt war, wurden Predigten aus Büchern vorgelesen. Miller empfand das nicht immer als rhetorisch gelungen. Er sprach mit seiner Mutter darüber, die dann mit den Gemeindeältesten sprach. So wurde Miller gebeten, die Predigten vorzulesen. Da stand er nun, der einst Bibel und Christentum verspottet hatte, und „predigte“ das Evangelium! Die Worte der Predigten veränderten ihn selbst. Bei einer dieser Predigten erlebte er seine Bekehrung. Er brach sogar in Tränen aus und konnte die „Vorlesung“ nicht beenden. Da geschah das Wunder, das auch heute noch möglich ist: Ein Mensch nimmt Gottes Liebe an und entscheidet sich, Gott zu lieben. Miller schrieb später über die Bibel: „Sie wurde meine Freude, und in Jesus fand ich einen Freund.“ (Ellen G. White, Vom Schatten zum Licht, Wien: Wegweiser-Verlag, 2015, 292)
Um seinen Freund besser kennenzulernen, studierte Miller die Bibel von Anfang an. Er wusste, dass dabei Missverständnisse möglich sind, deshalb legte er 14 Interpretationsregeln fest. Dazu gehörte für ihn u. a. das reformatorische Prinzip, dass die Bibel ihr eigener Ausleger ist. Beim Studium eines Themas wollte Miller alle Bibeltexte sammeln und dabei jedes Wort berücksichtigen. Um Paralleltexte zu finden, benutze er seine Konkordanz und verzichtete auf Bibelkommentare. Er wollte darauf achten, dass seine Auslegung im Einklang mit der gesamten Bibel stand. Bei der Erfüllung von Prophetie wollte er nur die (Auslegung) gelten lassen, die genau mit der Weissagung übereinstimmte. Dazu las er Bücher über Geschichte.
Schließlich kam Miller zu den Visionen im Buch Daniel. Er erkannte, dass diese parallel liegen, also den gleichen zeitlichen Ablauf der Weltgeschichte schildern. Er sah, dass alle Visionen einen Höhepunkt beschreiben. Daher schlussfolgerte er, dass diese Höhepunkte zum gleichen Zeitpunkt stattfinden und dachte dabei an die Wiederkunft von Jesus Christus und an das Ende dieser Welt:
- Daniel 2: Der Stein zerschlägt das Standbild.
- Daniel 7: Das Gericht tagt im Himmel.
- Daniel 8: Das Heiligtum wird gereinigt.
- Daniel 10-12: Michael erhebt sich und erlöst die Gläubigen.
Miller dachte, wenn es möglich wäre, herauszufinden, wann einer der Höhepunkte stattfinden wird, dann kann man daraus Rückschlüsse auf alle Höhepunkte ziehen. Als er las „bis zu 2.300 Abenden und Morgen; dann wird das Heiligtum gereinigt werden!“ (Daniel 8,14), begann seine Recherche. Er nahm die Hinweise aus Daniel 9,24-27, suchte, wann der „Erlass des Befehls zur Wiederherstellung und zum Aufbau Jerusalems“ (V 25) war und fand nach Esra 7,7 das siebte Jahr von König Artasasta, also 457 v.Chr. Miller las, dass sich die Zeitspanne in Daniel 8 auf „fernliegende Tage“ (V26) bezog. Somit legte er völlig korrekt die symbolischen prophetischen Tage als buchstäbliche Jahre aus, addierte zu 457 v.Chr. die 2.300 Jahre und kam so ins Jahr 1843. Erst später kam man darauf, dass es kein Jahr „0“ gibt.
Miller entdeckte diese Rechnung im Jahr 1818, als er 36 Jahre alt war. Von dort an zählte er nur noch 25 Jahre und sein Freund und Erlöser würde kommen, um ihn abzuholen! Für Miller muss dieser Gedanke wie ein Schlag gewesen sein. Obwohl er immer mehr den Drang verspürte, anderen davon zu erzählen und sie zu warnen, wehrte er sich dagegen, dies an die Öffentlichkeit zu bringen. Er war kein Endzeitfanatiker, kein sensationssüchtiger Mensch, der im Mittelpunkt stehen wollte. Und was, wenn er falsch lag? Dann würde er viele Menschen in die Irre führen! Es steht doch geschrieben: „Es ist nicht eure Sache, Zeitspannen oder Zeitpunkte zu kennen, die der Vater in seiner Vollmacht bestimmt hat“ (Apg 1,7). Deshalb wollte er keinen genauen Zeitpunkt, kein Datum festlegen. Doch wenn die Rechnung auf ein Jahr hinausläuft und die Visionen parallel liegen, dann wird die Erde bei der Wiederkunft durch Feuer gereinigt und das wird um das Jahr 1843 herum geschehen – so oder so ähnlich argumentierte Miller.
Miller brachte seine Erkenntnis nicht gleich an die breite Öffentlichkeit. Er nahm sich Zeit, alles mehrmals durchzurechnen und die Fakten immer wieder zu prüfen. Doch je mehr er studierte, desto sicherer wurde er. Er erforschte die Frage weitere 13 Jahre, bis ins Jahr 1831, in dem er bald seinen 50. Geburtstag feierte. Nun blieben bis 1843 noch 12 Jahre – und wer warnte die Welt? Miller hatte von anderen noch nichts gehört, aber tatsächlich entdeckten zur gleichen Zeit weltweit an verschiedenen Orten Menschen die Weissagungen in Daniel und Offenbarung und verkündigten die baldige Wiederkunft von Jesus Christus. Gott erweckte zu dieser Zeit eine weltweite Bewegung – die sogenannte Adventbewegung!
Miller selbst wollte nicht predigen. Doch als er in Hesekiel 3,16-21 las, dass er sich mitschuldig macht, wenn er andere nicht warnt, traf er mit Gott eine Vereinbarung. Er würde gehen und predigen, wenn er dazu eingeladen würde. Miller dachte, dass ihn in all den Jahren noch niemand eingeladen hatte – warum sollte sich das jetzt ändern? Eine halbe Stunde später klopfte sein Neffe Irvin an die Tür. Er war gerade ca. 25 km geritten und länger als eine halbe Stunde unterwegs gewesen. Irvin brachte ihm die Einladung zum Predigen. Miller war darüber alles andere als erfreut, doch schließlich übergab er sich und seine Angst dem Herrn und begann, die Welt zu warnen.
Wie bereits mehrmals erwähnt, wollte Miller selbst nicht predigen. Aber Gott hatte andere Pläne für ihn. Miller war bereit, Gottes Willen zu erkennen und Gott zeigte ihm, wo er ihn gebrauchen wollte. Auch wenn sich Miller im Ereignis geirrt hatte, war er doch der richtige Mann für diese Aufgabe, die Welt auf ein wichtiges himmlisches Ereignis vorzubereiten.
Wenn du mehr darüber wissen willst, dann lies die Bücher von C. M. Maxwell (Sagt es der ganzen Welt und Die herrliche Enttäuschung. Und solltest du einmal eine Enttäuschung erleben, dann vertraue darauf, dass Gott in der Lage ist, auf die krummen Linien unseres Lebens gerade zu schreiben.