Adventistische Schulanfänge(r)

Mitte des 19. Jh. gab es in den Neuenglandstaaten Nordamerikas ein flächendeckendes Schulsystem. Den vorwiegend protestantisch gesinnten Amerikanern war es wichtig, dass ihre Kinder die „Three Rs“ lernen: reading, writing und arithmetic. Für manche begann daher die Schule schon mit 4 Jahren. Wenn Kinder den Eltern auf der Farm helfen mussten, wurde nur während der Wintermonate unterrichtet. Die Klassenzimmer waren oft eng, ungenügend beleuchtet, schlecht belüftet und mit unbequemen Tischen und Bänken ausgestattet. Stundenlang wurde auswendig gelernt, mit wenig Bewegung und in militärischem Drill. Die unterbezahlten Lehrer hatten selten eine höhere Schulbildung. Sie verhängten körperliche Strafen und behandelten die Missetäter oft sehr hart.

Ellen G. White (geb. Harmon, 1827-1915) erinnerte sich später an ihre kurze Schulzeit (1833-1836). Als eines Tages eine Mitschülerin unaufmerksam war, warf der Lehrer sein Holzlineal nach ihr und traf aus Versehen Ellen und verletzte sie. Ellen ging daraufhin nach Hause. Der Lehrer lief ihr nach: „Ellen, ich habe einen Fehler gemacht. Vergibst du mir?“ Darauf fragte Ellen: „Sicher vergebe ich Ihnen, aber was war der Fehler?“ „Ich wollte dich nicht treffen.“ Darauf erwiderte Ellen: „Nun, es ist ein Fehler, irgendjemanden zu schlagen. Ich trage lieber diese Wunde an meiner Stirn, als dass ein anderer verletzt wird.“ (Jerry Moon & Denis Kaiser, „For Jesus and Scripture: The Life of Ellen G. White“ in The Ellen G. White Encyclopedia, Review and Herald, 2013, 20)

James S. White (1821-1881) konnte als Kind nicht zur Schule gehen. Ein hohes Fieber im Kleinkindalter hatte eine Fehlstellung seiner Augen zur Folge. So blieb er zu Hause und half seinem Vater auf der Farm. Er wäre jedoch lieber zur Schule gegangen, denn er wollte Lehrer werden. Als sich später seine Sehkraft verbesserte und er Buchstaben klar erkennen konnte, schrieb er sich 19-jährig an einer Internatsschule ein. Seine Mitschüler waren um einiges jünger. Zwölf Wochen später bekam James vom Schulleiter ein Zertifikat, das ihn zur Arbeit als Lehrer berechtigte. Doch James wollte weiterlernen. Nach dem Studium an einer methodistischen Schule unterrichtete er im Winter 1841/42 20-jährig an einer großen Schule. James hatte hohe Ziele und wollte als Lehrer Karriere machen, doch Gott hatte andere Pläne für ihn und rief ihn in seinen Dienst (Siehe dazu Gerald Wheeler, James White: Wegbereiter und erster Leiter der Siebenten-Tags-Adventisten, Advent-Verlag Lüneburg, 2006).

Obwohl Ellen und James White aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen in ihrer Kindheit nicht lange zur Schule gehen konnten, hörten sie nie auf zu lernen. Autodidaktisch erwarben sie sich Wissen und lagen bald weit über dem Durchschnitt der damaligen amerikanischen Bevölkerung.

Als Ellen im November 1848 in einer Vision den Auftrag für James erhielt, mit der Herausgabe einer Zeitschrift zu beginnen, war das die Geburtsstunde des adventistischen Verlagswerkes. Nun konnten sie mit anderen in unzähligen Artikeln ihr Wissen und Können zur Anwendung bringen. Gott gebrauchte diese Zeitschriften, um vielen Menschen die Dreiengelsbotschaft zu bringen. Die kleine Herde begann zu wachsen.

Zur Verbreitung des Evangeliums nutzten sie die Medien ihrer Zeit. Um ihre Druckerzeugnisse nicht am Sabbat produzieren zu lassen, erwarben sie im Frühling 1852 eine eigene handbetriebene Druckerpresse für 600 Dollar, finanziert von Hiram Edson. In Rochester, New York, mietete James White ein Haus für 175 Dollar pro Jahr, wo neben seiner Familie mit den Söhnen Henry (5) und Edson (3) zusätzlich fast alle untergebracht wurden, die im Verlag mitarbeiteten.

Während von Rochester aus die Zeitschriften verschickt wurden, war dadurch im ca. 320 km nordöstlich in Buck‘s Bridge eine Gruppe sabbathaltender Adventisten entstanden. Sie stellten wiederholt fest, dass ihre Kinder von den Mitschülern gemobbt wurden, weil sie am Sabbat Gottesdienst feierten. Da kam die Idee auf, eine eigene adventistische Schule zu organisieren. Im September 1853 war es soweit: etwa 12 Kinder von adventistischen Familien versammelten sich im Wohnzimmer von Familie Aaron Hilliard und wurden von der 19-jährigen Martha Byington unterrichtet (Martha D. (Byington) Amadon (1834-1937) war die Tochter von John Byington (1798-1887), der mit seiner Familie 1858 nach Battle Creek zog und ab 1863 für zwei Jahre der erste Präsident der Generalkonferenz der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten wurde. Martha heiratete 1860 George Amadon, zu dieser Zeit Meister in der Druckerei und Herausgeber der Zeitschrift Youth’s Instructor). Von Anfang an stand neben den „three Rs“ der Bibelunterricht auf dem Stundenplan. Als Martha zur Pottsdam Academy ging, übernahm 1854 Lucinda Paine den Unterricht und die Schule wechselte ins Wohnzimmer von Familie Henry Hilliard. Im dritten Jahr (1855-56) war J. Fletcher Byington, der Bruder von Martha, der Lehrer.

Am 12. Juni 1855 wurde in der Gemeindezeitschrift Review and Herald ein Artikel von Ellen White „To the Church” („An die Gemeinde”) veröffentlicht, wo sie zum ersten Mal die Eltern daran erinnerte, welche große Verantwortung auf ihnen liegt. Darin schrieb sie u. a.: „Eltern, lasst nicht durch euer Schweigen oder eure Zustimmung eure Kinder mit denen verkehren, die keine Liebe zu Gott oder der Wahrheit haben, die uns so teuer ist.” (S. 246)

Im Herbst 1855 war der Umzug der Druckerpresse von Rochester, New York, nach Battle Creek, Michigan. J. Fletcher Byington, der 1853 bereits beim Verlag in Rochester mitgeholfen hatte, ging nach Battle Creek, um dort mitzuarbeiten. Inzwischen waren Henry (8) und Edson (6) White alt genug, um zur Schule zu gehen. Die Adventgemeinde in Battle Creek entschied sich, eine Gemeindeschule zu gründen. Weil J. Fletcher Byington Erfahrungen hatte, wurde er 1856 als Lehrer angestellt. Doch die Eltern beklagten sich, dass Fletcher zu streng mit den Kindern sei. So wurde der Schulbetrieb eingestellt und die Kinder – wo es möglich war – zu Hause unterrichtet.

In den nächsten 10 Jahre passierte nur wenig im Bereich adventistischer Bildungseinrichtungen. Der große Meilenstein geschah 1867. Goodloe Harper Bell (1832-1899) kam nach Battle Creek. Ein Jahr zuvor hatte er sich im neu eröffneten Western Health Reform Institut erholt, denn seit dem Tod seiner Frau war seine Gesundheit stark angeschlagen. Er lernte den Glauben der Siebenten-Tags-Adventisten kennen und schloss sich 1867 der Kirche an. Er brachte 15 Jahre Erfahrung als Lehrer und Schulinspektor mit. Beim Holzhacken lernte Bell den inzwischen 18-jährigen Edson White kennen, der beim Verlag als Schriftsetzer arbeitete und Grammatik hasste. Als Edson erfuhr, dass Bell ein erfahrener Lehrer war, lud er seine Freunde ein und organisierte privaten Unterricht bei Bell. Neben Edson und dessen Bruder Willi (13) gehörten auch die Brüder Will Keith (7) und John Harvey Kellogg (15) dazu.

Der Privatunterricht bei Bell sprach sich schnell herum. Die einen schätzten ihn, andere kritisierten seine Regeln. Ellen G. White hatte am 10. Dezember 1871 eine Vision, wo Bell einen Platz im Werk Gottes zugewiesen wurde. Ellen ermutigte Bell, als Lehrer in Battle Creek zu arbeiten. So wurde er in der ersten offiziell von der Kirche gesponserten Schule als Lehrer angestellt. Der Unterricht begann am 3. Juni 1872. Zwei Jahre darauf wurde das Battle Creek College gegründet. Bell unterrichtete 10 Jahre, bis er 1882 aufgrund von Konflikten das College verließ und in Massachusetts die South Lancaster School (später Atlantic Union College) gründete und leitete.

Ellen G. White schrieb sehr viel über „Education“, was in unserer Sprache sowohl Erziehung als auch (Schul)Bildung heißt. »Eine höhere Bildung ist mehr als reines Bücherwissen. Sie ist die ganz persönliche Bekanntschaft mit Christus und die Befreiung von allen Gedanken, Gewohnheiten und Handlungsweisen, die wir in der Schule des Fürsten der Finsternis erworben und die uns zur Untreue gegen Gott verleitet haben. Sie bedeutet die Überwindung von Sturheit, Stolz, Egoismus, weltlichem Bestreben und Unglauben. Sie ist die Botschaft von der Befreiung von der Sünde.« (Intellekt, Charakter und Persönlichkeit, Band 1, Advent-Verlag Lüneburg, 2008, 104.2)

Wir wissen noch nicht, ob, wie und wo wir das Wissen, das wir uns heute aneignen können, zur Ehre Gottes anwenden werden. Gott weiß es. Daher höre auf den Rat von Ellen White: »Eine umfassende Bildung ist Macht, und Gott möchte, dass wir uns dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht verschließen, sondern unsere Studenten sorgfältig auf ihre Arbeit in der Endzeit vorbereiten. Die Wahrheit muss in die entferntesten Gebiete der Welt gebracht werden, und die Mitarbeiter, die wir dorthin senden, brauchen eine gute Ausbildung. Aber auch wenn wissenschaftliche Erkenntnisse Macht bedeuten, ist die Erkenntnis des Evangeliums, das Jesus persönlich in die Welt gebracht hat, wichtiger. Das Licht der Wahrheit muss verbreitet werden bis an die äußersten Enden der Erde, denn ob die Menschen es annehmen oder nicht, entscheidet über ihr ewiges Schicksal.« (Review and Herald, 1. Dez 1891; Intellekt, Charakter und Persönlichkeit, Band 1, 372.4)

Hinweis: Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Salvation & Service, Ausgabe 3, 2019, Nr. 59, S.52-55

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